Kanzlei für Arbeitsrecht, Familienrecht, Erbrecht in Kiel, Schönkirchen

Annahmeverzug und Betriebsrisiko: Wann Arbeitgeber trotz Minusstunden zahlen müssen

Viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kennen das Problem: Im Betrieb gibt es nichts zu tun – Sommerloch, Systemausfall oder einfach eine schlechte Auftragslage. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin schickt die Belegschaft nach Hause oder teilt ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schlicht gar nicht erst zur Arbeit ein. Es bauen sich Minusstunden auf und am Ende des Monats folgt der Gehaltsabzug. Begründet wird dies dann häufig mit dem Verweis auf den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Damit liegen die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen aber arbeitsrechtlich grundsätzlich falsch, denn es gibt Ausnahmen, die diesen Grundsatz durchbrechen.

Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn

Das Arbeitsverhältnis ist ein synallagmatisches Vertragsverhältnis. Das bedeutet, dass die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Kurz gesagt bedeutet das, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vergütung gegen Arbeitsleistung austauschen. Kommt es also in diesem synallagmatischen Vertragsverhältnis zu einer Störung, etwa weil Arbeitsleistung nicht erbracht wird, ist der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin grundsätzlich auch nicht verpflichtet, die Gegenleistung (Vergütung) zu erbringen. Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, wie beispielsweise die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hier erbringt der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin keine Arbeitsleistung, erhält aber dennoch im Entgeltfortzahlungszeitraum die Vergütung weiter (genauer: eine Entgeltersatzleistung). Eine weitere Ausnahme ist das Urlaubsentgelt, das gezahlt wird, während der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin Erholungsurlaub nimmt und aus diesem Grund ebenfalls keine Arbeitsleistung erbringt. Auch während dieser Zeit sind Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Vergütung (hier als Urlaubsentgelt) weiter zu zahlen. Schließlich stellt auch der Annahmeverzug von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar.

Annahmeverzug und Betriebsrisiko

Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin ist grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anzunehmen. Wird die Arbeitsleistung aber trotz Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit nicht angenommen, gerät der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin in Annahmeverzug. Geregelt ist der Annahmeverzug in § 615 BGB. Hierin heißt es in Satz 1:

„Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.“

Wann liegt Annahmeverzug auf Arbeitgeberseite vor?

Voraussetzung für den Annahmeverzug ist, dass ein Arbeitsverhältnis besteht, die Arbeitsleistung auf Arbeitnehmerseite angeboten wird, Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin leistungsfähig und leistungswillig ist und der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin die Arbeitsleistung nicht annimmt. Hierbei kann sich der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, dass keine Arbeit vorhanden ist, die Arbeitsleistung beispielsweise aufgrund von einem Systemausfall, fehlenden Arbeitsmaterialien oder ungünstiger Wetterlage nicht möglich ist. Denn hierbei handelt es sich um das Betriebsrisiko, welches Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nicht auf die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen übertragen kann. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen tragen das Risiko des Betriebsausfalles, hierin liegt gerade die Unterscheidung zwischen selbständiger Tätigkeit und Beschäftigungsverhältnis.

Kurz: Wenn Sie arbeiten wollen, aber nicht können, weil Ihr Arbeitgeber bzw. Ihre Arbeitgeberin den Betrieb nicht am Laufen hält, trägt er bzw. sie das Risiko und muss Sie trotzdem bezahlen. Maßgeblich ist der vertraglich vereinbarte Beschäftigungsumfang und nicht die tatsächlich abgerufene Arbeitsleistung.

Minusstunden und Arbeitszeitkonto

In diesem Fällen kann auch ein etwaig vereinbartes Arbeitszeitkonto nicht mit Minusstunden belastet werden, es sei denn, es ist ausdrücklich etwas anderes in zulässiger Weise vereinbart. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos kann grundsätzlich nur dann mit Minusstunden erfolgen, wenn die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf das Entstehen der Minusstunden Einfluss haben. Befindet sich der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin hingegen im Annahmeverzug, besteht auf Arbeitnehmerseite keine Pflicht, die Arbeitsleistung nachzuholen.

Anspruch auf Beschäftigung und Vergütung

Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich auf Arbeitnehmerseite nicht nur der Anspruch auf vertragsgemäße Vergütung, sondern auch auf tatsächliche Beschäftigung. Auch hieraus folgt, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nicht ohne ausdrücklich Vereinbarung auf Arbeitsleistung verzichten können und sodann entweder eine geringere oder keine Vergütung zahlen oder auch das Nacharbeiten der Arbeitsstunden, auf die zuvor verzichtet worden ist, zu fordern.

Fazit

Arbeitsausfall und Minusstunden sind nicht automatisch Ihr Risiko! Da das Betriebsrisiko auf Arbeitgeberseite liegt, können Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin nicht dafür bestraft werden, weder mit einem Minussaldo noch mit weniger Gehalt. Es gilt: Werden Minusstunden durch den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin verursacht, besteht keine Pflicht zur Nacharbeit.

Unverschuldete Minusstunden bedeuten vollen Lohnanspruch (§ 615 BGB).

Als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin sollten Sie also nicht nur Überstunden, sondern auch Minusstunden unabhängig von der Pflicht zur Arbeitszeitdokumentation für sich selbst festhalten und hierzu notieren, welchen tatsächlichen Hintergrund (Arbeitgeberweisung, Arbeitsanfall oder -ausfall etc.) die konkret geleistete Arbeitszeit begründet hat.

Janina Grothe, Rechtsanwalt Kiel, Rendsburg-Eckernförde und Plön

Janina Grothe

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Tel. +49 4348 – 210 98 90
kontakt@anwaltskanzlei-grothe.de

04348 – 210 98 90