EuGH stärkt Rechte auf Geschlechtsidentität – Anerkennung gilt EU-weit

Am 4. Oktober 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem richtungsweisenden Urteil entschieden, dass die Weigerung eines Mitgliedstaats, eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erlangte Änderung des Vornamens und Geschlechts anzuerkennen, gegen die Rechte der Unionsbürger verstößt. Mit dieser Entscheidung will der EuGH sicherstellen, dass betroffene Personen keine zusätzlichen Verfahren – mit offenem Ausgang – in anderen Mitgliedstaaten durchlaufen müssen, um ihre Identität zu bestätigen.

Der Fall im Überblick

Im konkreten Fall ging es um einen rumänischen Staatsbürger, der bei seiner Geburt als weiblich registriert wurde. Nach seinem Umzug ins Vereinigte Königreich im Jahr 2008 erwarb er die britische Staatsangehörigkeit und blieb gleichzeitig rumänischer Staatsbürger. Im Vereinigten Königreich ließ er seinen Vornamen sowie seine Anrede von weiblich auf männlich ändern. Drei Jahre später wurde dort dann auch seine männliche Geschlechtsidentität rechtlich anerkannt. Als er daraufhin bei den rumänischen Behörden beantragte, seine Geburtsurkunde entsprechend anzupassen und seinen neuen Vornamen, sein Geschlecht und die Personenidentifikationsnummer neu einzutragen, lehnten diese jedoch ab. Sie verwiesen ihn darauf, in Rumänien ein eigenes und somit neues Verfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität in die Wege zu leiten.

Hiergegen wehrte sich der rumänische Staatsbürger und klagte mit dem Ziel, die Behörden zur Änderung seiner Geburtsurkunde zu verpflichten. Das rumänische Gericht hat den Fall dem EuGH vorgelegt mit der Frage, ob sich die rumänischen Behörden mit ihrer ablehnenden Entscheidung auf eine Rechtsgrundlage gestützt hat, die mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

Erläuterung zum Unionsrecht

Das Unionsrecht umfasst die Gesetze und Regelungen, die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) erlassen werden. Das Ziel des Unionsrechts ist es, ein einheitliches rechtliches Umfeld in der EU zu schaffen. Es schützt auch die Rechte der Bürger/innen innerhalb der EU und sorgt dafür, dass nationale Gesetze im Einklang mit den EU-Vorgaben stehen. Diese Grundlagen und Werte sind u.a. im Vertrag über die Europäische Union (EUV), dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union rechtlich verankert.

Die Antwort des EuGH

Der EuGH beantwortete die Frage des rumänischen Gerichts mit der Feststellung, dass die Weigerung eines Mitgliedstaats, die rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat erlangte Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags anzuerkennen, gegen das Unionsrecht verstößt. Mit der Vorlage der im Vereinigten Königreich ausgestellten behördlichen Dokumente habe der betroffene Bürger rechtswirksame Dokumente eines Mitgliedsstaat der Union vorgelegt, die Entscheidungsgrundlage der rumänischen Behörden im Antragsverfahren des Betroffenen hätten sein müssen. Der EuGH stützte seine Feststellungen auf das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und auf Achtung ihres Privatlebens.

Ergänzend erklärte der EuGH zur Nebenfrage des Gerichts, ob der Brexit für den Fall entscheidungserheblich sei, dass der Zeitpunkt der Antragstellung des Betroffenen vor dem Brexit lag und dieser damit keine Auswirkungen auf den vorliegenden Fall habe. Im Übrigen seien auch entsprechende Dokumente, die noch während der Übergangszeit ausgestellt wurden, als Dokumente eines Mitgliedsstaates der Union anzuerkennen. Der Austritt des Vereinigten Königreichs habe insoweit keinen rückwirkenden Einfluss auf das Unionsrecht.

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des EuGH hebt hervor, dass das Geschlecht ein fundamentales Element der persönlichen Identität darstellt. Eine Weigerung der Anerkennung könnte die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb der EU behindern. Ein Nicht-Anerkennen der persönlichen Identität einer Person kann zu erheblichen Schwierigkeiten im alltäglichen Leben führen, sei es im beruflichen, administrativen oder privaten Bereich. Die für die Unionsbürger geltende Freizügigkeit kann nicht dazu führen, dass stets neue Verfahren angestrengt werden müssen, die vor allem eine erhebliche (Rechts-)Unsicherheit, aber auch persönliche und finanzielle Belastungen bedeuten würden. Der EuGH betonte außerdem, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, ein klares und vorhersehbares Verfahren zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität zu gewährleisten.

Das Urteil des EuGH stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichbehandlung und Anerkennung von Geschlechtsidentität innerhalb der Europäischen Union dar. Es zeigt, dass das Recht auf Identität und persönliche Entfaltung für alle Bürger/innen der EU von zentraler Bedeutung ist.

Janina Grothe

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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